Interview mit Xin Peng Wang

Interview mit dem Intendanten des Dortmunder Ballettes, Xin Peng Wang


Interview mit dem Intendanten des Dortmunder Ballettes, Xin Peng Wang, zum Thema: Adaption literarischer Texte im Ballett 

Aktueller Bezug: 150 Jahre Thomas Mann – Ein Jubiläumsjahr der Weltliteratur 

Das Jahr 2025 feiert den 150. Geburtstag von Thomas Mann, einem der prägendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Kulturelle Institutionen, Wissenschaftler und eine interessierte Leserschaft nehmen dies zum Anlass, sein Leben und Denken neu zu entdecken und kritisch zu beleuchten. 2024 jährte sich der Geburtstag des Zauberbergs, eines seiner wichtigsten Werke. 

Aus diesem Grund habe ich den Intendanten des Dortmunder Balletts – Xin Peng Wang – zu einem Gespräch eingeladen, um mit ihm über die intermediale Adaption von literarischen Werken zu sprechen. 

Lieber Xin, herzlichen Dank für Deine Bereitschaft, dieses Gespräch mit mir zu führen. Mich beschäftigt, wie Du literarische Texte choreographisch in Tanz umwandelst und habe einige Fragen dazu vorbereitet. 

Deine Arbeit als Intendant und Choreograph ist international anerkannt. Dortmund kann sich geschätzt fühlen, Deine Ballettaufführungen vor Ort zu erleben. Du hast die großen Themen der Weltliteratur in Dortmund auf die Bühne gebracht. Goethes Faust, Dostojewski (Krieg und Frieden) und 2014 den Zauberberg von Thomas Mann. 

Warum hast Du ein Werk Thomas Mann adaptiert, was hat Dich am „Zauberberg“ fasziniert? 

Der Zauberberg ist ein zeitloses Meisterwerk, das zentrale Fragen der menschlichen Existenz aufwirft: Die Bedeutung und das Wesen der Zeit, die Auswirkung von Krankheit auf das Individuum und die transformative Kraft von Bildung und geistiger Entwicklung. Diese Themen sind nicht nur tief in der Gesellschaft der damaligen Epoche verwurzelt, sondern eröffnen auch für die moderne Gesellschaft neue Perspektiven und Denkanstöße. Besonders berührt mich die Darstellung der winterlichen Berglandschaft, die mich dazu inspiriert hat, diese Atmosphäre durch Ballett oder Theater auf transmediale Weise neu zu interpretieren. 

Worin siehst Du noch heute zentrale Themen mit aktueller Diskursrelevanz, die im „Zauberberg“ verhandelt werden? 

Die im „Zauberberg“ dargestellte Trennung von Körper und Geist, insbesondere die abgeschottete Atmosphäre im Sanatorium spiegelt auf bemerkenswerte Weise die Erfahrungen der modernen Gesellschaft im Umgang mit globalen Pandemien wider. Zudem erinnert der ideologische Streit zwischen Settembrini und Naphta, der Freiheit und Fortschritt einerseits und Konservatismus andererseits gegenüberstellt, an die aktuellen zwei gesellschaftlichen Konflikte und Spannungen zwischen den verschiedenen Weltanschauungen. 

Auf welche zentralen Aussagen hast Du Dich mit Deiner Produktion konzentriert? 

Mein Werk konzentriert sich auf die Erforschung der geistigen Verfassung des Menschen, wenn er mit Isolation, Wandel und ideologischen Konflikten konfrontiert wird. Ich maße mir nicht an, klare Antworten darauf zu geben, wie der Geist in Extremsituationen Orientierung findet, sondern versuche, genau diese zentrale Fragestellung in den Fokus zu rücken und künstlerisch darzustellen. 

Einschub HN: Frage nach der künstlerischen Freiheit, der choreographischen Interpretation des Stücks, sowie die künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten der Tänzer und Tänzerinnen. 

Wie hast Du diese zentralen Themen hinsichtlich Choreographie, Bühnenbild, Kostümen und Musik in Deiner Inszenierung umgesetzt? 

In der Choreographie werden die Figuren in der isolierten Umgebung des Sanatoriums dargestellt. Die Beziehung zwischen Joachim Ziemßen und Nelly (einer Patientin, die Ziemßen liebt) symbolisiert die Liebe, die unterdrückt und vor dem Tod erdrückt wird, bis sie zu einem verzerrten Fragment wird. Die Unterdrückung durch den Tod, der für die Figuren ständig greifbar nahe scheint, wird in abgeschotteter Umgebung inszeniert. Die Interaktion und Ergänzung von Choreografie und Musik spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Charakterzeichnung wird durch den gezielten Einsatz typischer Requisiten unterstrichen, wie beispielsweise Settembrinis Spazierstock. 

Die Masken der Gruppe, inspiriert von zeitgenössischen politischen Persönlichkeiten – Kaisern, Diplomaten, Generälen und mächtigen Autoritätsfiguren – verleihen der Inszenierung eine zusätzliche Dimension und verknüpfen sie mit aktuellen Themen. 

Das Bühnenbild verwendet weiße und graue Farbtöne, um die Kälte und Isolation des Sanatoriums zu vermitteln. Röntgenbilder werden extrem vergrößert, wodurch der Mensch im Kontrast zu diesen monumentalen Darstellungen klein und unbedeutend erscheint. Ein Duett am Klavier, kombiniert mit einer speziell gestalteten Hintergrundprojektion lässt einzelne Schneeflocken herabfallen, die sich allmählich zu Buchstaben formen – eine direkte Anspielung auf die Beschreibungen in Thomas Manns Werk. Die Verwendung von Stühlen als Requisiten, die in der Luft aufgehängt werden, schafft ein ästhetisch ansprechendes Bühnenbild und vermittelt zugleich ein modernes Gefühl. 

Einschub HN: Eine sehr beeindruckende Szene! Was stellt sie da? Die Lebenssituation, der tuberkulosekranken Patienten, die in der Luft hängen auf Leben und Tod? 

Die Musik besteht aus Collagen von Stücken des Komponisten Lepo Sumera, die zugleich modern und innovativ wirkt und die Verflechtung von Vergangenheit und Gegenwart symbolisiert. Die Kostüme kombinieren bewusst Elemente des frühen 20. Jahrhunderts in minimalistisch, modernen Stilen, um den Dialog zwischen Klassik und Gegenwart darzustellen. 

Wie bist Du im Adaptionsprozess vorgegangen? 

Im Adaptionsprozess haben wir uns auf die geistige Entwicklung Hans Castorps sowie auf die philosophischen Konflikte zwischen Settembrini und Naphta konzentriert. Die Handlung wurde gekürzt, wobei die zentralen Dialogszenen, die einen Bezug zu aktuellen gesellschaftlichen Fragen herstellen, bewusst erhalten blieben. Gleichzeitig haben wir moderne Metaphern und symbolische Elemente eingefügt, um die Relevanz der Themen zu verstärken und die Verbindung zum Publikum zu vertiefen. Auch filmische Einflüsse spielten eine wichtige Rolle in meinem Adaptionsprozess. Besonders die Darstellung der Figuren und ihre Performance gaben mir neue Inspirationen. Elemente wie die Bildsprache des „Schneetraums“, die Ästhetik der Röntgenbilder, der Schlitten und die in der Luft schwebenden Stühle wurden von mir mit visuellen Interpretationen von Szenen aus Filmen über den ersten Weltkrieg verknüpft. 

Einschub HN: Wie ist der Bezug zu Filmszenen aus dem 1. WK zu verstehen? 

Die Ästhetik der schneebedeckten Landschaft in Verbindung zur Ästhetik von Kriegsbildern? Oder habe ich das falsch verstanden? 

Castorp bekennt sich zum Leben, nicht zur Krankheit und Tod und sagt:“ Der Mensch soll um der Güte und Liebe Willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“. 

Welche Besonderheiten verortest Du in Deiner Produktion, abweichend von der literarischen Vorlage? 

Hinsichtlich der Darstellung der körperlichen Liebesszene: Ein zentraler Moment ist das sinnliche Duett am Klavier. Die Harmonie von Sinnlichkeit und körperliche Ästhetik. Während dieses Tanzes fallen im Hintergrund Buchstaben, die sich zu Wörtern formieren wie Schneeflocken sanft vom Himmel herab und bilden schließlich einen Schneehaufen auf der Bühne. Diese Worte stammen direkt aus Th Manns Originaltext, insbesondere aus der Passage, die die Liebesszene beschreibt. Dieses Bild soll die Vorstellungskraft der ZuschauerInnen beflügeln und eine emotionale Brücke zwischen dem literarischen Werk und der Inszenierung schlagen. 

Die Rolle Ziemßens: 

Ziemßen ist eine Figur, die eines der Themen repräsentiert. Gleichzeitig spiegelt sie auch den Zustand der Gesellschaft wider., indem sie die krankhafte, fragile Realität, das Gefühl der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit verkörpert, die das menschliche Leben in Extremsituationen prägen können. 

Untergang einer Epoche: 

Am Ende des Tanzdramas senkt sich ein gewaltiger Bühnenvorhang herab und bedeckt die gesamte Bühne. Dieses Bild symbolisiert den Einsturz des Himmels und das hilflose Gefühl der Menschen, welches auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die erdrückende Atmosphäre auf dem gesamten europäischen Kontinent verweist. 

Einschub HN: Nimmt dieses Bühnenbild Bezug auf Castorps Rekrutierung in den Krieg??? 

Das Selbstbewusstsein Castorps sowie die Beziehung Settembrini/Castorp 

Die Beziehung zwischen Settembrini und Castorp ist komplex und vielschichtig-. Die Beziehung ist letztlich ein Spiegel für die zentralen Themen des Romans: 

Das Spannungsfeld zwischen Leben und Tod, Fortschritt und Stillstand sowie die Suche nach Sinn, Orientierung in einer widersprüchlichen Welt. 

Einschub H.N.: Settembrini ist Humanist, Intellektueller, er verkörpert die Werte des Humanismus. Freundschaft, Bildung, Fortschritt, Vernunft, Aufklärung, gegen Entfremdung vom Leben durch die Hingabe an die Krankheit und der lasterhaften Anziehungskraft des Todes, denn der Geist soll den Körper beherrschen (siehe Schneetraum!!!) Castorp: „Der Mensch soll um der Güte und Liebe Willen dem Tode keine Herrschaft einräumen über seine Gedanken“. 

Was reizt Dich an der Erstellung und Inszenierung von Adaptionen literarischer Texte der sognannten Hochkamm-Literatur statt der von klassischen oder zeitgenössischen Theaterstücken? 

Die Adaption von sogenannter Hochliteratur übt auf mich einen besonderen Reiz aus, da solche Werke oft aus unterschiedlichen Perspektiven auf bestimmte Themen blicken und besondere Bedeutungen sowie komplexe Darstellungen der menschlichen Natur enthalten. Im Vergleich zu klassischen oder zeitgenössischen Theaterstücken bietet die Hochliteratur einen größeren Raum der Vorstellungskraft. Durch theatralische Mittel kann ich das Originalwerk neu interpretieren und ihm ein Bühnenleben verleihen. 

Meine ganz persönlichen Fragen an Dich, lieber Xin! 

Du vermittelst uns eine einzigartige, poetische Sicht auf die Literatur durch Deine Arbeit – kritisch und unverwechselbar. 

  • Du hast europäische Weltliteratur choreografiert. Was hat Dich dazu bewegt, Sprache in Tanz umzusetzen? 

Sprache trägt Emotionen, Rhythmen und Bedeutungen, die sich in Tanz ausdrücken lassen. Die Kommunikation zwischen den verschiedenen Akteuren bei deiner Ballettaufführung basiert auf einem tiefen Verständnis für die Grundidee des Werkes und den gemeinsamen künstlerischen Zielen. 

  • Wer unterstützt Dich bei Deiner Arbeit? 

Auch wenn nicht alle Beteiligten den gesamten literarischen Text gelesen haben, ist es meine Aufgabe als Choreograph, diese Kernideen so zu vermitteln, so dass jeder Tänzer, jede 5 Tänzerin das Werk als Ganzes unterstützt. Dies erfolgt durch enge Zusammenarbeit, Austausch und Visionen und ständige Rücksprache mit dem Ballettmeister, den Musikern, Bühnenbildnern und Tänzern. 

  • Was ist Deine Intention, was möchtest Du den Zuschauern Deiner Stücke vermitteln? Was sollen wir sehen? 

Es geht darum, den Zuschauern eine tiefergehende, emotionale Erfahrung zu bieten, die über das bloße Sehen hinausgeht. Den Zuschauern soll eine neue Perspektive auf Weltliteratur geöffnet und ihnen die Möglichkeit gegeben werden, über die dargestellten Themen nachzudenken und sie zu hinterfragen. 

Ich möchte eine Mischung aus Poesie und Reflexion vermitteln. Es ist eine Einladung, die Welt durch die Linse des Tanzes wahrzunehmen. 

  • Lieber Xin, Du zeigst uns einen anderen Blick auf die Welt – und wo bist Du Zuhause? 

Zuhause bin ich in der Kunst und insbesondere in der Literatur. In der Literatur finde ich Inspiration und die Ruhe, die ich brauche, um meine Gedanken und Ideen zu entwickeln und umzusetzen. 

Herzlichen Dank, lieber Xin! 

Das Interview wurde im Ballettzentrum Dortmund von Heide-Marie Nolte und Xin Peng Wang am 16. Februar 2025 geführt. 

Sehen Sie sich das vollständige Interview jetzt auf YouTube an. Lassen Sie mir auch gern ein Like da und abbonieren den Kanal, falls Sie mehr solcher Inhalte sehen wollen. 

Was halten Sie von dieser Verbindung zwischen Literatur und Tanz? Diskutieren Sie mit uns in den Kommentaren!

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Heide-Marie Nolte

Als Buchhändlerin und Studentin der Germanistik, Philosophie und Kulturwissenschaften wurde Literatur zu meiner Lebensmission.

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